Supervision an der Grenze: Personzentrierte Supervision im Arbeitsfeld der ambulanten und stationären Sterbebegleitung

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Nikola Knorr in:
Gesprächspsychotherapie und Personzentrierte Beratung, GwG, Köln 1/2017, S. 14-22


Zusammenfassung: Seit einigen Jahren supervidiere ich unter anderem im Berufsfeld der stationär und ambulant arbeitenden Sterbebegleitenden. In meiner Abschlussarbeit beschäftigten mich folgende Fragen:

Wie kann die personzentrierte Supervision im Arbeitsfeld der Sterbebegleitung mit der sehr dichten existenziellen Erfahrung des Sterbens zu Professionalisierung, Entlastung, Klärung und Generierung von Schutzfaktoren für die Betreuenden beitragen? Und welche Auswirkungen kann das sowohl auf ein Supervisionshandwerkszeug als auch auf die innere Haltung der Supervidierenden und auch der Supervisanden_innen haben?

Meine Hypothese ist: Gerade in dem Feld der Sterbebegleitung braucht es mehr als in jedem anderen Berufsfeld der Supervision ein spezifisches Handwerkszeug für die Supervisorin: die ständige aktuelle Reflexion über den eigenen Umgang mit Krankheit und Sterben. In meinen Schlussfolgerungen berücksichtige ich die philosophische Recherche zur Bedeutung und den menschlichen Umgang mit dem Sterben. In zwei Fallbesprechungen ermögliche ich einen Einblick in die supervisorische Arbeit und deren differenzierte Anforderungen.

Einleitung

Nach Aussagen des Deutschen Hospiz- und Palliativverbandes sind allein im Jahr 2011 rund 21.500 Menschen in einem Hospiz für Erwachsene gestorben (vgl. Müller&Pfister, 2012, S.12). Die Sterbebegleitenden stellen sich immer wieder neu auf eine mittel- bis kurzfristige Begleitbeziehung ein, in der der nahende Tod eine bestimmende Rolle spielt. Dazu kommen hohe Anforderungen an Qualität, Professionalität und persönlichen Einsatz in einem personell wie in Pflegebereichen so oft nicht ausreichend versorgten Arbeitsfeld. Daraus ergeben sich in der supervisorischen Arbeit drängende Fragen und Gedanken für die Begleitung:

Wie kann ich damit umgehen, dass eine Sterbenskranke sich nicht mit dem Tod auseinandersetzen möchte? Die Sterbenskranke muss sich doch noch mit den Angehörigen versöhnen! Wie kann ich eine zu Betreuende noch fröhlich stimmen? Warum fällt es mir so schwer, eine supervisorische Sitzung zu beenden? Wie kann ich mit einer zu Betreuenden umgehen, wenn sie sich nicht mehr äußern kann? Wie reagiere ich, wenn sich die Angehörigen am Krankenbett streiten?

Der Umgang des Menschen mit dem Tod und dem Sterben: Philosophischer Exkurs

Einen wunderbaren philosophischen Einblick in den Umgang mit dem Tod und der Tatsache des Sterbenmüssens gibt uns der amerikanische Psychoanalytiker und Begründer der Existenziellen Psychotherapie I. D. Yalom (Jhrg.1931), auf den sich auch Rogers in seinem Denken und Handeln bezogen hat:

„Leben und Tod sind interdependent; sie existieren gleichzeitig, nicht in Folge; der Tod surrt ständig unterhalb der Membran des Lebens und übt einen großen Einfluss auf die Erfahrung und das Verhalten aus“ (Yalom, 2010, S. 45).

Im existenziellen Ansatz wird die im westlichen Denken seit der Renaissance und den Gedanken von Descartes vorherrschende Kluft zwischen Subjekt und Objekt überwunden und die Person als ein Bewusstsein betrachtet, das an der Konstruktion der Realität teilhat. (vgl. Yalom 2010, S. 37).

Yalom bestärkt diese Überzeugung wie folgt:

„Eine Verleugnung des Todes auf irgendeiner Ebene ist eine Verleugnung unserer grundlegenden Natur und erzeugt eine zunehmende und durchgreifende Verringerung der Bewusstheit und Erfahrung. Die Integration der Idee des Todes rettet uns; statt uns zu einer Existenz des Schreckens oder des düsteren Pessimismus zu verurteilen, wirkt sie als Katalysator, damit wir in authentischere Modi des Lebens eintauchen können, und sie vergrößert unsere Freude am Leben“ (Yalom 2010, S. 48 f.).

Soweit der kurze Einblick in das philosophische Nachfragen bei Yalom der seine existenzielle Psychotherapie als einen „dynamischen Zugang zur Therapie definiert, der sich auf Gegebenheiten konzentriert, die in der Existenz des Individuums verwurzelt sind“ (Yalom 2010, S. 17). Zu diesen Grundgegebenheiten zählt er den Tod, die Freiheit, die Isolation und die Sinnlosigkeit. Die humanistischen Psychologen wie auch C. R. Rogers teilen grundlegende Prämissen der existenziellen Psychotherapie. Aktuell können wir in unserer Gesellschaft durch Berichterstattung in quasi Echtzeit in nie dagewesener Dichte Zeugen von Tod und Verwüstung sein. Als würde uns die reale Gewalt nicht reichen, konsumiert ein Großteil der Bevölkerung darüber hinaus allabendlich Mord, Totschlag und deren Aufklärung. Ein amerikanisches Schulkind sieht im Durchschnitt 8.000 Morde bis zum Ende der Grundschule, schreibt der Münchner Merkur bereits am 19. Mai 2009. Die Zahlen für Deutschland dürften gleichfalls in die Tausende gehen. Im deutlichen Gegensatz dazu steht die existenzielle Furcht vor und die Verdrängung der eigenen Endlichkeit. Diese Furcht nährt die allgegenwärtigen Bemühungen um ewige Jugend und Schönheit und findet ihre institutionelle Entsprechung in den eschatologischen Heilsversprechungen der Religionsgemeinschaften.

Woher kommt die Furcht vor dem eigenen Tod?

Der Mensch hat die Furcht, ausgelöscht zu werden, Dinge nicht mehr zu Ende bringen zu können, geliebte Menschen loslassen zu müssen, des Sinns beraubt zu werden, tiefste Wünsche nicht mehr erfüllen zu können oder erfüllt zu bekommen. Es ist für viele Menschen heute häufig die Furcht vor einem schmerzhaften und leiderfüllten langen Sterbeprozess, dem jede/r von uns sich ausgeliefert erleben könnte. Daraus lässt sich folgern, dass das Wissen um eine immer besser werdende Palliativmedizin die Furcht vor einem leidvollen Sterbeprozess höchstens zu lindern vermag. Tief sitzt existenziell die Angst vor dem endgültigen Abschied, die Angst vor der Vergänglichkeit.

Meiner Überzeugung nach generiert die Unausweichlichkeit der Endlichkeit nach wie vor im Menschen Ängste, weil nur jene mit einer Nahtoderfahrung eine Vorstellung, eine Erfahrung über das Sterben haben, die den Tod erlebt haben. Der eigene Tod und das, was darin geschehen wird, entziehen sich dem Erleben, der Erfahrung des Menschen. Das macht meines Erachtens den Tod im wahrsten Sinne des Wortes so unnahbar.

Folgen wir Heidegger und Yalom, dann liegt gerade in der bewussten Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit eine große Chance, das eigene Leben authentischer zu gestalten. Mindestens unbewusst dürfte diese Chance von mancher Sterbebegleiterin erspürt werden und eine wesentliche Rolle bei der Motivation für diese Tätigkeit spielen.

Der Tod im spezifischen Arbeitsfeld der Sterbebegleitung

Was Hospizarbeit im Grunde ausmacht, sagt die Begründerin der Hospizbewegung in England, Ciceley Saunders, am 24. Juli 1967 zur Gründung des St. Christopher‘s Hospice in London:

„Auch, wenn wir an der grundsätzlichen Situation sterbender Menschen wenig ändern können – wir können versuchen, ihnen in dieser schwierigen Phase ihres Lebens beizustehen (…). Alle unsere Bemühungen müssen also an den Bedürfnissen unserer Patienten orientiert sein” (Saunders, 1991; XII, S. 4).

Die Sterbebegleiterinnen werden in der Nähe zur Betreuenden zu Mitbetroffenen in einer der existentiellsten Situationen des Menschen:

„Das Helfer-Dasein in der palliativen und hospizlichen Arbeit erfordert eine besondere Auseinandersetzung mit dem Leid und stellt die Frage an den Helfer: Wie stehst du zum Leiden in der Welt? Wie steht es mit dem eigenen Leid? Besser: mit der eigenen Leidfähigkeit? (…) Zur Geschöpflichkeit des Menschen – (…) des Arztes, der Pflegekraft, der übrigen Berufsgruppen – gehören auch in der Palliativmedizin – bei allen Fortschritten in Schmerztherapie und Symptomkontrolle – Enttäuschung, Verzicht, Frustration, Hilflosigkeit, endgültiger Verlust, schmerzlicher Abschied und Angst erzeugender Neuanfang. Sich mit diesen Leidspuren im eigenen Leben auseinanderzusetzen und sich ihnen in Wahrheit zu stellen, muss geleistet werden, damit man sich auch den sterbenden Patienten und ihrer Wirklichkeit in Wahrheit stellen kann und nicht eigenen Projektionen verfällt“ (Müller, Pfister, 2012, S. 15).

Die sich wiederholende und unter bestimmten Bedingungen häufig auftretende Erfahrung, dem Anspruch, einem Sterbenskranken oder/und dessen Angehörigen in Würde zu begegnen, ihn in seiner Person mit seiner besonderen Geschichte zu akzeptieren und anzunehmen, eine differenzierte, feinfühlige Kommunikation mit dem Patienten und den Angehörigen zu üben, genug Zeit für den ruhigen und verstehenden Kontakt zu haben, nicht gerecht zu werden, bringt die Mitarbeitenden häufig in Stress und innere Konflikte und braucht regelmäßige Angebote zur Selbstklärung und Entlastung.

Der Personzentrierte Ansatz nach C. R. Rogers zum Thema Tod und Sterben

„Rogers spricht in seiner Theorie zum personzentrierten Ansatz immer wieder vom persönlichen Selbstkonzept des Menschen (…). Er geht davon aus, dass alle individuellen Erfahrungen, die ein Mensch im Laufe seines Lebens gemacht hat und fortwährend weiter macht, sich konzentrieren und verdichten zu einer für diesen Menschen einzigartigen und spezifischen Realität (…). Aus dieser (…) Sichtweise entwickelt sich nach und nach das sogenannte Selbstkonzept einer Person, wobei sich dieses zusammensetzt aus den Sichtweisen, die ein Mensch von sich selbst hat, und deren Wertungen (…). Jeder Mensch hat ein Real-Selbst und ein durch die eigenen Wertungen beeinflusstes Ideal-Selbst. Zwischen beiden gibt es ein ewiges Bestreben nach Übereinstimmung. Gelingt diese Übereinstimmung, sind Menschen glücklich und ausgeglichen, gelingt sie nicht, dann werden Menschen unglücklich und unzufrieden“ (Muksch, 2015, S. 23 ff.).

Das Selbstkonzept wird genährt durch prägende Erfahrungen, so fasst Muksch zusammen, aus den tragenden, stützenden, positiv bestätigenden oder auch infrage stellenden Beziehungsangeboten. Und das Selbst ist ein Leben lang immer neu erfahrungsabhängig und angewiesen.

Da sich das Selbstkonzept durch die erlebten Beziehungserfahrungen immer neu entwickelt, ist es, solange wir leben, lebendig und offen. Die Erfahrung des Sterbens und des Todes können wir allerdings nicht in unser Selbstkonzept einbauen, da uns hierzu – bis auf die wenigen Menschen mit Nahtoderfahrung – die eigene Erfahrung fehlt. So ist es für alle Beteiligten – die Sterbenden, die Betreuenden und die Supervisorin – nicht möglich, in der Beziehung zum Tod erfahren zu sein oder sich auf ein darin geformtes Selbstkonzept zu beziehen, um authentisch mit eigenen Erfahrungen umgehen zu können. Das bedeutet, wir bewegen uns in einem neuen Raum, den wir alle noch nicht betreten haben. Wir sind – und das hat die Menschheit gemein – sozusagen mit der völligen Ungewissheit konfrontiert, sofern wir nicht eine weltanschaulich oder religiös begründete unerschütterliche Gewissheit in uns tragen, was uns im Sterben und im Tod und vor allem danach erwartet.

Welche Möglichkeiten der Begegnung mit dem Tod hat ein Mensch, und was generiert diese Ungewissheit, diese Erfahrungslosigkeit an sich selbst?

Rogers spricht grundlegend von der Triade der Therapeuten- oder auch Supervisorenvariablen oder überhaupt der Beziehungsgestaltung: Empathie, Echtheit und bedingungsfreie Wertschätzung – und zwar nicht als Technik, sondern als innere Haltung mit dem Ziel einer authentischen Begegnung. Rogers nennt das eine klienten- oder personzentrierte Haltung, in der es in der Enthaltung von wissenschaftlichen (Vor-)Urteilen erst zu einem echten persönlichen Verständnis des Klienten kommen kann.

Und diese Beziehung solle von wirklicher Akzeptanz geprägt sein, in der ich als Psychotherapeutin oder Supervisorin den aufrichtigen Willen spüre, den_die Klienten_in in der Tiefe zu verstehen, das heißt, „dass ich willens bin, mir seine Gefühle, seine Einstellung zu meiner zu machen, die Person zu sein, die er ist (…). Ich denke, dass ich in diesem Moment imstande bin, mit großer Klarheit seine Art der Erfahrung zu fühlen, so wie sie ihm erscheint, die Wirklichkeit von ihm aus gesehen, ohne jedoch meine eigene Persönlichkeit oder Besonderheit diesbezüglich zu verlieren“ (Buber & Rogers, 1960, S. 56).

Rogers geht davon aus, dass Weiterentwicklung, Veränderung erst dort beginnt, wo durch das Sich-Verstanden-Fühlen im Klienten die Erfahrung völliger Akzeptanz die Möglichkeit eröffnet, die Einstellungen des/der Therapeuten_in des/der Supervisors_ in aufzunehmen und ein Austausch an Erfahrung erst dann beginnen kann. In diesem Moment spricht Rogers von der Ebenbürtigkeit zwischen Therapeutin und Klientin.

Rogers Verständnis von Beziehungsgestaltung ist sein Herzstück und bewirkte in den herkömmlichen Therapiemethoden einen fundamentalen Haltungswandel: Weg von der Abstinenz in der therapeutischen Beziehung, der Rolle als Ärztin, Therapeutin, Supervisorin, Lehrenden hin dazu, sich als Person auf Augenhöhe auf das Gegenüber als Person einzulassen. Die Begleiterin sollte immer der Frage folgen: Wie kann eine Beziehung hergestellt werden, die ein Individuum zur eigenen selbstbestimmten Persönlichkeitsentfaltung nutzen kann?

Die Beziehungsgestaltung in der Supervision besteht nun darin, die „Spannungen auszutarieren zwischen den beiden Polen: Im System mitschwingen (= verstehen) und sich distanzieren bzw. abgrenzen (…) und von außen betrachten und nachfragen“ (Schlechtriemen & Wulf, 1996, S. 14).

Was folgt daraus für die personzentrierte supervisorische Haltung?

Im Prozess und im Effekt geht es darum, die Supervisanden_innen darin zu unterstützen, authentisch die Rolle im beruflichen Zusammenhang einzunehmen, zu füllen und gleichzeitig sachgerecht und professionell zu bewältigen und die Anliegen an den Schnittstellen im spezifischen Berufsfeld – hier: das Feld der Sterbebegleitung – anzuschauen:

  • die Institution und das Arbeitsfeld,
  • die Berufsrolle und die Identität in der Rolle,
  • die Beziehungen in der Institution, dem Kollegium, und zwischen den Supervisanden_innen,
  • den Arbeitsauftrag und die Beziehungen zu den zu Betreuenden,?
  • eigene Werte und Haltungen der Sterbebegleitenden.

Zwei Fallbeispiele zur Verdeutlichung der personzentrierten supervisorischen Herangehensweise

Mit der Darstellung der folgenden zwei Fallbeispiele möchte ich:

a) die supervisorische Tätigkeit in dem Feld der Sterbebegleitung vorstellen und
b) Antworten finden auf die leitende Fragestellung dieses Artikels.

Fall 1: „Mein Mann hat keine Schmerzen, er braucht nur Aufmerksamkeit, und die gebe ich ihm jetzt!“

Es handelt sich um ein stationäres Palliativ Care Team in einem Hospiz, es gibt 17 Mitarbeitende im Schichtdienst, darum sind jeweils nur etwas mehr als eine Hälfte der Mitarbeitenden in der Teamsupervisionssitzung anwesend. Die Sitzungen finden alle sechs Wochen statt. Zum Zeitpunkt des vorzustellenden Falles hat das Team deutliche Veränderungsprozesse durch zweimaligen Leitungswechsel und durch starke Fluktuation im Team hinter sich. Seit es eine neue, recht junge und dynamische Leitung gibt, die im Gegensatz zur vorherigen Leitung sehr offen mit Tabuthemen umgeht und das Team eher emanzipatorisch führt, ist die Bereitschaft, einander mehr zu vertrauen, enorm gestiegen. In der Auswirkung auf die Supervisionsarbeit zeigt sich eine viel größere Bereitschaft, eigene Themen und Fälle einzubringen. Das Team ist mit der Arbeitsweise des personzentrierten Ansatzes und der Strukturierung vertraut:

Die Fallgeberin bekommt Zeit für die Darstellung des Falles und die Formulierung ihres Anliegens, bei dessen Konturierung die Supervisorin unterstützend u. a. auch lösungsorientierte Fragen nutzt („Wenn Sie an das Ende der Besprechung Ihres Falles heute denken – was müsste geschehen sein, damit Sie sagen könnten: Das war eine erfolgreiche Bearbeitung meines Anliegens?“).

Dann kann das Team notwendige Fragen stellen und bekommt die Möglichkeit, eigene Bilder und/oder Resonanzen mitzuteilen, die sich die Fallgeberin erst einmal kommentarlos anhören kann. Anschließend gibt es die Möglichkeit für die Fallgeberin, Eindrücke mitzuteilen und zu äußern, womit sie für sich schon etwas anfangen kann. Die nächste Runde soll dann offen sein dafür, direkt auf das Anliegen der Fallgeberin einzugehen: Ich-Botschaften sind erwünscht, Ratschläge sollten vermieden werden.

Zuletzt kann die Fallgeberin dann mitteilen, was sie als hilfreich für ihr Anliegen mitnehmen möchte. Die Fallgeberin ist Frau W. Sie ist als Palliativ Care Kraft schon längere Zeit in dem Hospiz tätig, hat sich bislang in den Supervisionssitzungen eher zurückgehalten. In dieser Sitzung ist die Leiterin wegen Erkrankung nicht dabei. Frau W. möchte heute dringend einen Fall vorstellen. Sie ist schon bei der Fallbeschreibung sehr bewegt. Sie möchte sich zuallererst entlasten. Zudem möchte sie sich im Team absprechen, wie sie gemeinsam weiter mit diesem Gast (so werden hier die Patienten genannt) und seiner Ehefrau umgehen wollen und/oder wie die anderen das bereits tun. Frau W. habe die Pflege für einen kürzlich eingelieferten schwer kranken älteren (ca. 80 Jahre alten) ausländischen Gast (Herrn S.) übernommen, der von seiner ausländischen Frau (Frau S., ca. 70 Jahre alt) begleitet wird. Herr S. sei von einer im Südhessischen liegenden Klinik, in die er wegen seines in der Nähe wohnenden Verwandten eingeliefert wurde, in das Hospiz überwiesen worden, weil sich sein gesundheitlicher Zustand stark verschlechtert habe. Er sei an einem fortgeschrittenen Krebs erkrankt und erleide immer anhaltende enorme Schmerzen. Beide seien sehr gebildete Persönlichkeiten, wie Frau S., die gut Englisch spricht, immer betone. Sie seien in ihrem Land, solange sie verheiratet sind, noch nie wirklich getrennt gewesen. Gerade auch in dieser Situation nun möchten sie nicht getrennt werden. Frau S. könne, wie das im Hospiz üblich ist, wann immer sie und er möchten, bei ihrem Mann sein. Sie sei sehr daran interessiert zu erfahren, was mit ihrem Mann geschehen soll, und habe deutlich gemacht, dass sie davon ausgehe, dass ihr Mann in ein paar Wochen wieder entlassen werden könne. Frau W. berichtet von der für sie eskalierten Situation:

Sie beginnt gerade ihre Schicht und ist für dieses Zimmer zuständig. Der Mann schreit vor Schmerzen und klingelt um Hilfe. Sie geht das erste Mal an diesem Tag in das Zimmer und sieht, wie sich der Mann im Bett vor Schmerzen windet. Sie begrüßt kurz die Frau und geht direkt an das Bett zu Herrn S., um mit ihm direkt Kontakt aufzunehmen. Sie begrüßt den Gast und fragt, ob er starke Schmerzen habe, was er mit deutlichem Kopfnicken bestätigt. Sie kündigt ihm an, ihn erst einmal wieder im Bett zurechtzulegen, um ihm dann leichter ein Schmerzmittel verabreichen zu können. Daraufhin stellt sich die Ehefrau, Frau S., vor ihren Mann und sagt: „Bitte fassen Sie meinen Mann nicht an, er braucht das Schmerzmittel nicht, er kommt schon zurecht, er schreit nicht der Schmerzen wegen, sondern weil er Aufmerksamkeit braucht und die gebe ich ihm jetzt!“ Frau W., die selbst einigermaßen Englisch spricht, ist schockiert und gerät in grossen Stress, da der Gast nicht aufhört zu schreien und zu jammern. Sie fühlt sich in der moralischen und auch hospizlichen Pflicht, Herrn S. zu helfen. Gleichzeitig spürt sie eine ungeheure Wut auf die Ehefrau, die sich ihr in den Weg stellt und eine notwendige Hilfe verhindern möchte. In ihrer Not schreit sie Frau S. an und weist sie zurück, um dem Mann die schmerzlindernden Mittel verabreichen zu können. Frau S. lässt das jedoch weiterhin nicht zu. Frau W. verlässt völlig hilflos das Zimmer und benachrichtigt den diensthabenden Palliativarzt, der alsbald kommt und in ihrer Anwesenheit die Verabreichung des schmerzlindernden Mittels bei geringerem Widerstand durch Frau S. durchführt.

In der SV-Sitzung beschließt sie ihre Falldarstellung mit den Worten: „Ich möchte das (Anschreien der Angehörigen, Anm. d. Verf.) nie wieder machen“, und „Ich möchte mich bei den Eheleuten entschuldigen.“

Ich beginne, erst einmal wertschätzend zu wiederholen, was ich verstanden habe, kläre noch einmal das anfänglich formulierte Anliegen und öffne dann den Raum für die Frage- und Resonanzrunde im Team. Dabei wird schon deutlich, dass die Teammitglieder großes Verständnis für das Handeln der Kollegin haben. Zudem melden sie unter anderem folgende Gefühle und Eindrücke zurück, die in ihnen aufgekommen sind: Not, Stress, Ungeduld, Wut, Ausweglosigkeit, Hilflosigkeit, schlechtes Theater, verdrehte Welt usw.

Frau W. wird merklich ruhiger: Sie fühle sich erst einmal in ihrem Handeln, ihrer Reaktion verstanden, wie sie sagt. Dennoch hält ihr Bedauern über ihr Handeln an: „Ich neige schon manches Mal dazu, laut zu werden und das möchte ich im Gastzimmer auf keinen Fall. Zu Hause ist das auch nicht schön, aber etwas anderes. Ich schäme mich auch vor Herrn W., der nun durch mein ungehaltenes Verhalten diesen Stress miterleben musste.“ Er brauche Schutz vor diesen Konflikten, der habe doch schon genug damit zu tun, sich auf sein Sterben vorzubereiten. „Und das können wir doch hier lindern! Ich möchte anders mit solchen Situationen umgehen und die Gäste schützen. Wie geht ihr denn mit einer solchen Situation um?“, möchte sie von ihren Kolleginnen wissen „Und wie wollen wir gemeinsam in Zukunft mit einer derartigen Situation umgehen?“

In der nächsten Runde werden einige Antworten auf das Anliegen von Frau W. deutlich, die mindestens drei Ebenen ansprechen:

1. Die Berufsidentität: Wie handle ich als Person im Beruf? Wie ist meine Rolle?

Dabei bitte ich das Team, einmal die Perspektive zu wechseln und sich in die Ehefrau des Patienten hineinzuversetzen. Es werden folgende Eindrücke als Vermutungen über Frau S. zusammengetragen:

Sie lebt seit vielen Jahren mit dem Mann in einer Ehe, war in ihrer Heimat noch keinen Tag von ihrem Mann getrennt, ist nun im Ausland und versteht die Welt nicht mehr. Sie möchte die schwere Erkrankung des Mannes nicht wahrhaben, ihr Mann und das Beisammensein mit ihm sind ihr vertraut, daran darf sich nichts ändern. Sie ist vollkommen verunsichert und hat sicherlich große Angst, die Kontrolle zu verlieren, und unbewusst möglicherweise auch, ihren Mann zu verlieren.

Durch diese zusammengetragenen Beobachtungen und Hypothesen wächst ein gewisses Verständnis für das Verhalten von Frau S. und die sich daraus ergebenden Handlungsvorschläge für die Beziehungsgestaltung mit dem Paar. Dazu tragen auch noch die Schilderungen einer Kollegin bei, die sich so zu helfen wusste: Frau S. immer zuerst ansprechen, ihr das Vorgehen genau erklären und sie sozusagen um Mithilfe bitten. Damit habe sie gute Erfahrungen gemacht. Frau W. nimmt diesen Vorschlag auf, glaubt jedoch nicht, dass ihr selbst das so leicht gelingen könne, wenn der Mann solch argen Leidensdruck habe. Sie wolle es auf jeden Fall versuchen, schon mit dieser Haltung in das Zimmer zu gehen, die die Achtung für die Ehefrau und ihre sehr unsichere Situation mit einbezieht. Aber zuerst müsse sie sich noch entschuldigen.

2. Die organisationale Ebene:

Wie begrüßen die Mitarbeiter, die Leitung des Hospizes neue Gäste? Gibt es ein festes Ritual und, wenn ja, was gehört dazu? Wie gehen die Mitarbeiterinnen mit kulturellen und sprachlichen Barrieren um? Wie wurde dieses Paar aufgenommen? Gäbe es etwas, das Frau W. von der Leitungsebene brauchen könnte, um wieder in den Kontakt mit dem Ehepaar zu gehen?

3. Die Frage nach dem Leitbild und konkret die ethische Ebene:

Wie weit können wir uns einlassen darauf, dem Leiden eines Gastes zuzuschauen, während sich eine Angehörige dem Lindern des Leidens entgegenstellt? Was könnte vor einer Aufnahme geschehen, damit Gäste samt Angehörigen darüber informiert sind, welche Werte sich das Hospiz gesetzt hat und welche Auswirkungen das auf die Aufgaben als Pflegekraft im Umgang mit den Gästen hat? Im Gespräch zu Beginn gilt es zu klären: Wie möchten die Gäste mit Maßnahmen am Lebensende umgehen (Patientenverfügung, kulturelle Einflüsse etc.)?

Hilfreich sind für Frau W. die eigenen Erfahrungen aus dem Perspektivwechsel und die Impulse aus dem Team. Sie kann sich vorstellen, Frau S. ernst zu nehmen und in die Behandlung ihres Mannes mit einzubeziehen. Sie kann sich etwas leichter vorstellen, sich bei Frau S. zu entschuldigen, wenn das dann begleitet wird von einer Klärung mit der Leitungsebene, wie sie zukünftig gemeinsam mit der Situation umgehen wollen. Sie sieht, dass ein Gespräch der Leitung mit Frau S. dazu beitragen kann, sich mit der Situation ihres Mannes leichter zu konfrontieren und auch mit ihr abzusprechen, was ihr Mann zur Linderung akut wirklich braucht. Das wünscht sie sich von der Leitung.

Zu allen Ebenen nimmt das ganze Team Stellung und erarbeitet dazu einen Kanon an Anliegen für die nächste Teamsitzung mit der Teamleiterin. Frau W. fühlt sich am Ende entlastet, kennt ihre nächsten Schritte und realisiert nun auch, dass nicht zuletzt auch ungünstige institutionelle Voraussetzungen und Versäumnisse dazu beigetragen haben, dass die Situation eskaliert ist.

Folgende personzentrierte Schritte haben meines Erachtens den Supervisionsprozess in dieser Weise ermöglicht:

  • Zeit und Raum für Empathie für die Fallgeberin
  • eine Sicherheit und Transparenz gebende Struktur in der Supervisionssitzung
  • Interesse am wirklichen Verstehen des Anliegens und das Respektieren des anfänglichen Anliegens
  • ein Verzicht auf moralische Bewertungen zugunsten eines Verstehen-Wollens und Akzeptierens des Handelns und damit der Handelnden selbst
  • Kontakt-Halten durch Wertschätzung der Fallgeberin und des Teams
  • die Methode des Perspektivwechsels als Zugang zu mehr Verstehen der Protagonistin
  • ein weiter Blick für das Feld der Organisation, in der solch eine brisante Situation auch Vorschub bekommen hat
  • Achtung für die Fallgeberin das Einbeziehen des gesamten Teams in die Fallbearbeitung in einer respektvollen Weise.

Das Ansehen und der Respekt von Frau W. wurde zu jeder Zeit gewahrt, das Team hat sich sehr von der Offenheit von Frau W. leiten und einladen lassen, diese Offenheit nicht zu enttäuschen. Das ist sicherlich auch auf den vorbereiteten Rahmen zurückzuführen und die immer neu gelebte Haltung der Wertschätzung.

Fall 2: „Ich möchte, dass die Dame fröhlich ist!“

Die Supervisionsgruppe besteht aus ehrenamtlich ambulant arbeitenden Hospizhelferinnen eines gemeinnützigen Vereins in einer Gruppe von ca. acht Teilnehmerinnen. Supervision erhält die Gruppe seit beinahe zwei Jahren alle vier Wochen für jeweils zwei Zeitstunden. Die Gruppe hat sich durch Neuzugänge und Verabschiedungen im letzten Jahr verändert. Neue Kolleginnen wurden gut in die Gruppe integriert. Auch hier haben einige die ein jährige Ausbildung miteinander absolviert und alle kennen sich durch gemeinsame Veranstaltungen: Vortragsbesuche, die verbindlich sind, gemeinsame aufgabenbezogene Ganztagsveranstaltungen, die für die Ehrenamtler_innen organisiert werden, zum Beispiel eine Führung über einen neuen Friedwald oder den Besuch eines Hospiztages.

Fallgeberin ist Frau Z.: Sie ist eine lebensfrohe Person und vielseitig interessiert. Der Tod ihres zehn Jahre älteren Mannes vor einigen Jahren hat sie motiviert, sich als Hospizhelferin ausbilden zu lassen. Seitdem betreut sie jeweils einen sterbenskranken Menschen. Die letzte Betreuung hat sie an ihre Grenzen gebracht und Ängste und Beklemmungen in ihr wachgerufen. Dennoch bleibt sie Hospizhelferin: „Ich möchte, dass es kranken Menschen gut geht.“

Ihr Anliegen heute: „Ich möchte einmal Frau T. vorstellen, die ich seit einigen Wochen in einem Pflegestift betreue, zweimal wöchentlich gehe ich zu ihr. Irgendwie bin ich ein wenig hilflos mit ihr. Vielleicht könnt ihr etwas dazu sagen.“

Es gehe also darum, dass die Gruppe der Beschreibung von Frau T. zuhört, dass sie sich mit ihrer Unsicherheit mitteilen kann und dass sie Rückmeldungen aus der Gruppe bekommt. Auf meine Frage hin, was geschehen müsse, damit sie am Ende der Fallbesprechung sagen könne „Das war hilfreich und gut?“, sagt sie: „Ich möchte Tipps bekommen, wie ich eine sehr depressiv wirkende Person aus der Depression in die Freude holen kann?“

Frau T. lebt im Pflegeheim und die Hospizhelferin Frau Z. hat den Auftrag, sie zu begleiten und nach ihr zu schauen. Der Sohn von Frau T. kommt nicht oft zu seiner Mutter, obwohl Frau T. es sich so sehr wünscht. Sonst hat sie niemanden mehr. Frau Z. treffe Frau T. regelmäßig sehr depressiv und „weinerlich“ an, und sie fühle sich angehalten, sie „fröhlich zu machen“. Frau T. weine häufig, wenn sie erzählt, dass ihr Sohn sie nicht besuchen kommt. Zudem schreite ihre chronische Erkrankung rasch fort, unter der sie sich noch weniger bewegen und äußern kann.

Frau Z. sei unsicher, wie weit sie auf die niedergedrückte Stimmung eingehen solle. Sie solle doch fröhlich sein und sich an dem freuen, was sie noch hat. Die Pflegekräfte versuchten auch, sie regelmäßig zu ermuntern und täten sich schwer mit der andauernden Niedergedrücktheit. Frau Z. möchte sie ablenken, ihr Freude bereiten. Aber zunehmend scheitere sie damit. Was soll sie tun?

Ich spiegele ihr Anliegen nochmals und auch ihre Situationsbeschreibung, um sicher zu gehen, dass ich sie verstanden habe und bitte dann um Rückmeldung aus der Gruppe.

Die Gruppe meldet ihr würdigend zurück, dass sie sie gut verstehen könnten mit dem Wunsch, in Frau T. noch ein wenig Freude und Dankbarkeit wecken zu wollen. Und ein Gruppenmitglied sagt dann etwas sehr Persönliches: „Wenn ich mir aber vorstelle, ich wäre diese Frau, dann wäre ich zutiefst traurig und auch enttäuscht, dass mein Sohn mich nicht so oft besucht, wäre unsicher, dass ich nicht mehr in meinem Haus sein kann und bräuchte wohl ziemlich viel Mitgefühl. Dann wäre es richtig beschämend für mich, wenn meine Trauer und Enttäuschung niemand mehr hören mag. Und ich kann verstehen, dass du das nicht fortlaufend geben magst.“ Das bewegt Frau Z.

Eine andere fragt Frau Z.: „Hast du denn schon einmal versucht, herauszufinden, was sich Frau T. überhaupt von dir wünscht, wenn du kommst?“ Nein, das habe sie noch nicht getan. Das war ein wichtiger Aspekt, den Frau Z. so noch nicht berücksichtigt hatte. Sie hatte sie nicht zu sehr belasten wollen mit einer solchen Frage. Aber mittlerweile habe sie zunehmend die Befürchtung, dass sich Frau T. wiederholt mit ihrem Wunsch nach Trost an sie wenden würde. Frau Z. deutet dann (für mich etwas abrupt) an, dass sie eigentlich schon genug von der Gruppe erfahren habe und nun die Fallbesprechung beenden wolle.

Das respektiere ich, obwohl ich den Eindruck habe, dass Frau Z. eigentlich noch gar nicht auf die Rückmeldungen und Angebote der Gruppenmitglieder eingegangen ist. Ich habe den Eindruck, sie habe sich auch noch nicht wirklich an einem möglicherweise tieferen eigenen Punkt berühren lassen. Auch die Not, in der sich offensichtlich Frau T. befindet, will sie aktuell offensichtlich nicht wirklich an sich heranlassen. Sie wollte ja eigentlich neue Möglichkeiten erfahren, die Dame von der Trauer weg zu bekommen. Das hatte nun die Gruppe ihr so nicht geben können. Gut getan habe ihr das Mitgefühl dafür, dass ihr die Niedergedrücktheit von Frau T. etwas ausmache. Wo sie selbst doch so eine frohe und engagierte Zeitgenossin sei. Auch mit der fortschreitenden schweren Erkrankung der Frau T. wolle sie sich in diesem Moment nicht auseinandersetzen.

Ich beobachte bei mir eine Unzufriedenheit und habe folgenden inneren Dialog: Wenn ich Frau Z. jetzt in ihrem Wunsch, die Fallbesprechung zu beenden, nicht nachgebe, würde zwischen Frau Z. und mir als Supervisorin ähnliches geschehen wie zwischen der zu Betreuenden und Frau Z. Ich würde sie in ihrem Wunsch nach Beendigung der Fallbesprechung nicht würdigen. Gleichzeitig erlebe ich mich in einem Konflikt: Wie kann Frau Z. ohne die Bereitschaft einer tiefergehenden Selbstreflexion Frau T. weiter begleiten? Kann sie dann überhaupt hilfreich für Frau T. sein?

Die Rückmeldung der Gruppe zeigt mir, dass sie auf jeden Fall noch über Möglichkeiten miteinander im Umgang mit stark niedergedrückten sterbenskranken Menschen nachdenken wollen. So schlage ich vor, dass erst einmal jede für sich Stichpunkte, Ideen, Fragen dazu auf Moderationskarten schreibt und dann die Gelegenheit zum gegenseitigen Mitteilen da sein wird. Diese Methode schlage ich vor, damit auch hier die Aufmerksamkeit von Frau Z. genommen wird und jede die Gelegenheit bekommt, sich selbst in dieser Frage zu klären. Ich frage Frau Z., ob sie sich auch darauf einlassen wolle, was sie bejaht. So kommt es dazu, dass die Gruppe Ideen entwickelt mit folgenden Ergebnissen:

Ich möchte versuchen, einem niedergedrückten Menschen Empathie zu geben und Geduld üben mit dem Bedürfnis nach Mitgefühl. Und ich weiß, dass ich das nicht immer kann. Ich möchte in einer solchen Situation einem zu Betreuenden die Chance geben, das Leiden anzusprechen, wann immer er es braucht. Ich möchte mich üben, ein depressives Gefühl auszuhalten, und das ist schwer! Ich möchte mit dem Menschen eine Bedrücktheit auszuhalten üben im wiederholten Perspektivenwechsel. Ich möchte lernen, den Menschen in seiner Art mitzutragen. Ich möchte nicht hinwegtrösten, ich möchte aber auch fragen, ob es etwas gibt, was ihm gut tun könnte. Ich möchte mich zu fragen trauen, was sich die zu Betreuende von mir wünscht; auch Angebote können hilfreich sein, worüber sich die zu Betreuende freuen würde: über Musik, eine Geschichte, ein Spiel, darüber, ein altes Fotoalbum gemeinsam anzuschauen, zu malen, oder einfach nur da zu sein und gemeinsam (aus-)zu halten.

In der Abschlussrunde geschieht dann etwas Unerwartetes: Frau Z. sagt, sie habe durch ihre eigenen Überlegungen im Stillen und auch im Zuhören beim Zusammentragen der Impulse aus der Gruppe, die ihr sehr hilfreich scheinen, gemerkt, dass sie sich wohl selbst sehr vor der Niedergedrücktheit der zu Betreuenden fürchte. Sie habe zu Beginn des Trauerprozesses um ihren Mann vor einigen Jahren eine große Leere und tiefe Trauer und Niedergedrücktheit erlebt, die sie anfänglich sehr beängstigt habe. Sie hätte den Eindruck gehabt, nie mehr aus diesem emotionalen „Loch“ herauskommen zu können. Sie habe viel Ablenkung von Freundinnen durch Unternehmungen und das Ausüben von Hobbies gebraucht, um darüber hinweg zu kommen. Das war für sie der gute Weg. Und nun glaube sie, müsse es bei anderen auch so sein, dass sie Ablenkung brauchten. Zudem meint sie, wäre es sicherlich elementar, dass sie selbst eine große Angst vor erneutem Abschiedsschmerz mit sich trüge. Das zu üben wäre mit ein Grund, warum sie diese Arbeit mache. Das freie Assoziieren der Gruppenmitglieder und das Respektieren des Wunsches nach Beendigung der konkreten Fallbesprechung gaben Frau Z. die Chance, sich für ihre ganz persönliche Thematik zu diesem Thema zu öffnen. Das macht sie dann nochmals sehr betroffen und löst in ihr den Wunsch aus, sich darum an anderer Stelle Unterstützung zu holen. Wie weit sie sich nun der Frau T. gegenüber mit mehr Geduld und Offenheit öffnen kann, wird Frau Z. vielleicht einmal in einer der nächsten SV-Sitzungen rückmelden. Frau Z. konnte die selbstregulierte Fachfrau ihres Prozesses bleiben. Die personenzentrierte Haltung hat mich auch hier darin unterstützt, die Fallgeberin in ihrem Tempo, ihren Schritten und ihrem Anliegen zu respektieren. Mein innerer Dialog war hilfreich dabei und auch die Gruppe, die bei dem Anliegen geblieben ist und aktiv die Ideensammlung motiviert hat, sodass es Frau Z. möglich war, etwas von außen auf ihre Fragestellung zu schauen und ihre eigenen Anteile, die mit der Trauer zu tun hatten, zuzulassen.

Die Gruppe hat sich sozusagen selbst reguliert und neue Türen des Vertrauens geöffnet.

Fazit

Wie kann die personzentrierte Supervision im Arbeitsfeld der Sterbebegleitung zu Entlastung, konstruktiver Klärung und Generierung von Schutzfaktoren für die Betreuenden beitragen? Welche Auswirkungen kann das im Wirkzusammenhang auf ein Supervisionshandwerkszeug und die innere Haltung haben?

Die vorangestellten zwei Fallbeispiele habe ich bewusst im Hinblick auf die leitende Fragestellung ausgewählt. In diesen Beispielen wird deutlich, dass der Umgang mit bestimmten Themen Erfahrungen sind, die die Begleitenden in eine Situation der Hilflosigkeit und auch in eine Konfrontation mit den eigenen ja auch zum Teil unreflektierten Ängsten gebracht haben, für deren Reflexion die Supervision konstruktiv sein konnte. Ebenso war die Supervision für die eigene Reflexion einladend und ermutigend.

Handelt es sich bei den Themen, die in den Fallbeispielen aufkamen, nicht doch um ganz übliche Fragestellungen, die in anderen Berufsfeldern ebenso auftauchen können?

Meine Antworten am Ende meiner Überlegungen lauten: Ja und Nein!

Ja! Es handelt sich im Arbeitsfeld der Sterbebegleitung um ein ganz „normales“ Arbeitsfeld, in dem es keinen Bedarf für einen besonderen Fokus in der Supervision geben muss. Das gilt vor allem dann, wenn es sich zum Beispiel um organisationale Fragen oder um Fragen nach gelungener Kommunikation handelt. Weiterhin habe ich viele Gemeinsamkeiten zu anderen Supervisionsgruppen erlebt. Die von mir verwendeten Interventionen und Methoden, können in ähnlicher Weise verwendet werden. Meine (personzentrierte) innere Haltung (Empathie, Authentizität, bedingungslose Wertschätzung) verliert nicht an Bedeutung, im Gegenteil: Die Beschäftigung mit dem existentiellen Thema Sterben sorgt für eine umso größere Bedeutsamkeit meiner eigenen inneren Haltung, was uns zu den Unterschieden führt.

Nein! Es geht um ein besonderes Arbeitsfeld, was auch in den Fallbesprechungen deutlich werden konnte: Die Dichte der erlebten Phänomene von Abschied, Einschränkung, Behinderung, Angst, Schmerz, Depression, Hilflosigkeit, Verzweiflung, Verleugnung, Ambivalenz im Angesicht des Sterbens können in den Sterbebegleitenden ebensolche Reaktionen wie Verdrängung und Verleugnung hervorrufen. Diese Reaktionen haben ihren Ursprung meines Erachtens in der Tendenz des häufig unbewussten eigenen Verdrängens genau dieses Phänomens, das in diesem existenziellen Feld eben auftritt: dem Realisieren der Endlichkeit des Lebens, des Seins, der menschlichen Existenz.

Da der Auftrag an die Supervisorin unter anderem ist, die Supervisanden_innen zu professionalisieren, um einen respektvollen und würdevollen Umgang mit den Patienten_innen zu ermöglichen, ist es an dieser Stelle wichtig, bestimmte Themen besonders zu fokussieren, blinde Flecken aufzudecken und auch den institutionellen Rahmen in die Arbeit miteinzubeziehen. So wird ein respektvolles und offenes Umgehen mit den eigenen Ängsten und denen der Sterbenden und Angehörigen möglich.

Das Phänomen des Todes und unser Umgang mit dem Sterben bedeuten für die Supervision: Es ist sehr wichtig und nicht leicht, den richtigen Zeitpunkt zu finden, um aus dem Mitschwingen mit den Supervisanden_innen auf die Ebene des Distanzierens, des Von-außen-Betrachtens und des Nachfragens zu gehen und um die Supervisanden_innen darin zu unterstützen, ihre Rolle zu hinterfragen. Gleichzeitig ist es elementar, als Anwältin der zu Betreuenden die Supervisanden_innen wertschätzend zu konfrontieren.

Betrachten wir die Fallbeispiele, so wurde mir im zweiten Fallbeispiel in fortgeschrittenem Stadium der eigenen Erfahrungen in der Rolle der Supervisorin deutlich, dass das Annehmen und Aushalten der mit dem Sterben verbundenen Gefühle so wichtig wie auch schwierig ist. Anders und wahrscheinlich nicht so elementar und existenziell begegnen uns als Supervisoren_innen Themen in einem Arbeitsfeld, in dem es um Veränderung und Wachstum, Weiterentwicklung und Zukunftsorientierung, Teamentwicklung und/oder Stressreduktion geht.

Darum bedarf es eines feinfühligen Begleitens in der Balance zwischen folgenden zwei Ansprüchen an die Supervidierenden:
a) Ganz bei der_dem Supervisandin_en sein, und ein tiefes Verstehen ermöglichen und
b) die wache Berücksichtigung des Auftrags an die Supervision, nämlich:

  • Entlastung zu ermöglichen,
  • Professionalisierung zu bewirken,
  • Reflexionshilfe anzubieten,
  • Klärung über die eigene Beziehung zum Sterben anzuregen,?
  • einen bewussten Schutzraum für die Sterbenden zu ermöglichen.

Hinzu kommen mögliche weitere Anliegen, die die Ebene der Organisation betreffen können.

Meine anfängliche Hypothese, dass es für die Supervidierenden eine besondere Aufmerksamkeit brauche in dieser dichten Konfrontation mit dem Sterben, trifft also zu: Die Auseinandersetzung mit dem Sterben muss auch und gerade bei den Supervidierenden stattfinden, damit eine professionelle Begleitung möglich wird. Nur dann kann die Supervisorin Tabus aufspüren, projektive Elemente identifizieren, Schutzbedürftigkeit für momentane Hilflosigkeit herauskristallisieren und damit respektvoll umgehen, sie da sein lassen, halten, benennen, aushalten und auch als Anwältin der zu Betreuenden den Auftrag der Betreuenden im Blick behalten.

Die bewusste Beschäftigung mit dem Sterben bewirkt gleichzeitig eine große Bewusstheit bis hin zu Dankbarkeit für das eigene Leben und die Lebensgestaltung, die ich bisher in keinem anderen Berufsfeld in dieser Intensität erfahren habe. Je nach Frequenz, in der durch viele Supervisionsgruppen der Tod ein bestimmendes Thema wird, sind die Berichte auch belastend und bedrückend für mich. Die völlige Ungewissheit, wie wir alle einmal mit unserem eigenen Sterben umgehen werden, bleibt.

Die Rückbesinnung auf das eigene Leben, die Integration der Erfahrungen in den eigenen Alltag halte ich zum Abschluss jeder Fallbesprechung für elementar. Wie wesentlich es für mich ist, um tragfähige bewährte und auch neue kreative Methoden im supervisorischen Feld zu wissen und mich gleichzeitig in jedem Moment in meiner personzentrierten Haltung im supervisorischen Kontakt zu üben, damit das geschehen kann, was Rogers Entwicklung nennt, möchte ich am Schluss noch einmal deutlich betonen. Und das gelingt im tiefsten Moment nur über den an dieser Stelle erlebten ebenbürtigen Kontakt. Ohne diesen Kontakt kann nichts anderes aufgebaut, entwickelt, verstanden werden. Für diese Erkenntnis, die sich mir in diesem Feld und durch die auf Rogers Personzentrierten Ansatz basierende Ausbildung und die intensive Auseinandersetzung mit der Literatur in ihrem Wert zeigte, bin ich ebenso dankbar.

Im ersten Fallbeispiel sind es eher die organisationalen Themen, die von dem eigentlichen Thema ablenkten. Die Werte spielten dort eine elementare Rolle und selbstverständlich auch dort die existentielle Frage, wie die Organisation mit ebenbürtigem Kontakt, einer respektvollen Einführung und Begrüßung der Patienten und auch mit der Begleitung ihres Personals umgeht und dafür einen transparenten und strukturierten Rahmen schafft. Auch da wird deutlich, dass es bewusste Neuorientierung braucht in der umsichtigen Partizipation aller am Begleiten in das Sterben. Frei und offen für das Thema Tod und Sterben habe ich mich in meiner Rolle als Supervisorin vor allem im zweiten Fall erlebt: Ich vermochte die Fallgeberin bewusst frei zu lassen von der vermuteten „darunter liegenden Frage“. Erst dadurch konnte Frau Z. sich öffnen für ihr eigentliches Thema und bekam ein offenes Forum, um sich darin mitzuteilen.

Abschließen möchte ich mit einem mir in diesem Zusammenhang sehr wertvoll gewordenen Gedicht von Hilde Domin. Sie bringt auf eine wunderbare Weise zum Ausdruck, wie wir von den Sterbenden für das Leben lernen können:

Nur eine Rose als Stütze

Jeder, der geht
belehrt uns ein wenig
über uns selber.
Kostbarer Unterricht
An den Sterbebetten.
Alle Spiegel so klar
Wie ein See nach großem Regen,
der eher dunstige Tag
die Bilder wieder verwischt.
Nur einmal sterben sie für uns,
nie wieder.
Was wüssten wir je
Ohne sie?
Ohne die sicheren Waagen,
auf die wir gelegt sind
wenn wir verlassen werden.
Diese Waagen, ohne die nichts
Sein Gewicht hat.
Wir, deren Worte sich verfehlen,
wir vergessen es.
Und sie?
Sie können die Lehre nicht wiederholen.
Dein Tod oder meiner
der nächste Unterricht:
so hell, so deutlich,
dass es gleich dunkel wird.

Hilde Domin (1957)